Zeugnisverweigerungsrecht: Kann man teilweise darauf verzichten?

Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs.1 Strafprozessordnung (StPO) für Zeugen ist neben dem Aussageverweigerungsrecht (u. a. § 136 StPO) eines der wichtigsten Rechte im Strafprozessrecht. Es schützt Angeschuldigte bzw. Angeklagte und deren nahes privates Umfeld.

Als Zeuge oder Zeugin kann man auf dieses Recht verzichten und trotz Zeugnisverweigerungsrecht eine Zeugenaussage machen. Aber kann man für einzelne Aussagen auf das Recht verzichten, sich aber für andere Aussagen in der Vergangenheit auf das Recht berufen? Darüber entschied Ende 2023 der Bundesgerichtshof (BGH) für Strafsachen in einem Urteil (BGH, Beschluss v. 18.10.2023, Az.: 1 StR 222/23).

Das Zeugnisverweigerungsrecht

Das Zeugnisverweigerungsrecht ist ein wesentliches – und in vielen Fällen prozessentscheidendes Recht, das Zeugen in einem Strafverfahren als eigenes Recht haben.

Wer Zeuge einer Straftat ist, muss grundsätzlich im Rahmen einer Zeugenvernehmung die Wahrheit sagen, um sich selbst nicht wegen falsche uneidlicher Aussagen nach § 153 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar zu machen – anders als ein Beschuldigter oder Angeklagter.

Wer aber als Zeuge bzw. Zeugin zur Straftat eines nahen Angehörigen vernommen werden soll, kann die Aussage dazu verweigern. Auf das sog. Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO können sich z.B.

  • (geschiedene) Ehepartner,
  • Verlobte,
  • Eltern, Großeltern, Kinder, Geschwister oder
  • Schwägerinnen und Schwager

berufen.

Beruft man sich als Zeuge in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, gilt es auch für alle Aussagen, die man in der Vergangenheit im Ermittlungsverfahren gemacht hat. Keine Aussage darf dann vor Gericht verwertet werden (§ 252 StPO) – alle Aussagen unterliegen dann einem sog. Beweisverwertungsverbot.

Aber kann man als Zeuge bzw. Zeugin entscheiden, dass einzelne Aussagen aus der Vergangenheit zugelassen und damit vom Gericht berücksichtigt werden, andere nicht?

Tatvorwurf: Vergewaltigung, (gefährliche) Körperverletzung etc.

Darüber musste der BGH in einem Fall entscheiden, in dem ein Mann seine Schwester vergewaltigt und missbraucht hatte und wegen Vergewaltigung, vielfacher gefährlicher Körperverletzung und mehreren Dutzend Köperverletzungen verurteilt worden war.

Die Schwester hatte im Verfahren zugestimmt, dass eine Aussage aus einem Gespräch mit einer Sachverständigen im Strafverfahren verwertet werden kann. Einer Aussage aus einer polizeilichen Vernehmung hatte die Frau hingegen nicht zugestimmt – die junge Frau hatte vor der Hauptverhandlung angekündigt, dass sie künftig von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht im Verfahren gegen ihren Bruder Gebrauch machen würde.

Die Jugendstrafkammer, die für den Fall zuständig war, berücksichtigte dann bei der Urteilsfindung die Angaben aus dem Gespräch mit der Sachverständigen, explizit nicht aber Aussagen aus einer polizeilichen Vernehmung.

Von diesem Hin und Her seiner Schwester war der Angeklagte nicht begeistert und legte Revision gegen das Urteil ein. Der Grund: Das Gericht habe die Angaben aus dem Gespräch mit der Sachverständigen nicht verwerten dürfen – ein Teilverzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht sei unzulässig.

BGH urteilt: Zeugnisverweigerungsrecht – ganz oder gar nicht

Der BGH stellte zunächst klar, dass das Zeugnisverweigerungsrecht in der bisherigen Rechtsprechung des BGH wie folgt beurteilt wurde:

  1. Ein Zeuge kann bis zur Hauptverhandlung darüber entscheiden, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen will. So hat die Person bis zuletzt die Möglichkeit, eventuell unbedachte Aussagen in der Vergangenheit vollständig „zurückzurufen“ und damit für das Strafverfahren nicht verwertbar zu machen.
  2. Genauso kann ein Zeuge bis zur Hauptverhandlung entscheiden, dass er – auch für frühere Aussagen – auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzichten will. So können frühere Aussagen plötzlich doch verwertbar werden.

Zum Teilverzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht – wie in diesem Fall – existierte bisher allerdings keine Rechtsprechung.

Hierzu fällte der BGH in diesem Urteil also ein Grundsatzurteil und stellte fest: Ein Teilverzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht sei nicht möglich. Der Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht könne nicht auf einzelne Vernehmungen beschränkt werden.

Dazu das Gericht:

„Ein solcher Teilverzicht ist unzulässig. … Schutzzweck von § 252 StPO und § 52 StPO ist, dass ein Zeuge frei entscheiden kann, ob er im Strafprozess gegen einen Angehörigen aussagen und so gegebenenfalls zu dessen Belastung beitragen möchte oder nicht. Der Zeuge kann so entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen will oder nicht (vgl. BGH, Urteil v. 28.05.2003, Az.: 2 StR 445/02). Darüber hinaus hat er kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen.“

Einordnung

Dieses Urteil ist zu begrüßen. Denn entscheidet ein Zeuge, eine Aussage zuzulassen, eine andere hingegen nicht, kann er mit der Auswahl der Aussagen indirekt Einfluss auf ein Urteil nehmen.

Das ist aber nicht Sinn und Zweck der Vorschriften zum Zeugnisverweigerungsrecht, das in erster Linie das private Verhältnis zwischen möglichem Täter und Zeugen schützen soll. Die klare Einschätzung des BGH schafft hier nun Rechtssicherheit für mögliche Täter und Zeugen.