Handeltreiben mit Betäubungsmitteln? BGH, Urteil vom 02.11.2022, Az.: 6 StR 239/22
Das Landgericht hat die Angeklagten J. und M. K. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – den Angeklagten J. K. darüber hinaus wegen einer tateinheitlich begangenen waffenrechtlichen Straftat – schuldig gesprochen. Den Angeklagten J. K. hat es zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten M. K. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und für beide Angeklagte die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten A. K. hat die Strafkammer wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen zu Ungunsten aller Angeklagten geführten, jeweils auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des Urteils.
Das Urteil
- Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 10. Dezember 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Sachverhalt
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Brüder J. und M. K. beschlossen Anfang 2019, Marihuana anzubauen, um hiermit ihren eigenen Konsum zu decken. Die „Überproduktion“ sollte gewinnbringend verkauft werden, um den Unterhalt der Plantage zu finanzieren. Beide hielten ein Gebäude auf dem Grundstück ihres Vaters, des Angeklagten A. K., für die Errichtung der Plantage für geeignet. Die ihrem Vater gegenüber zum Schein erklärte Absicht, das Gebäude als Partyraum ausbauen zu wollen, griff dieser auf und sagte zu, dieses Vorhaben mit seinen Mitteln unterstützen zu wollen. A. K. veranlasste in der Folgezeit „gutgläubig“ verschiedene Baumaßnahmen, insbesondere die Montage zahlreicher Steckdosen.
Beim anschließenden Ausbau des Gebäudes zur Plantage übernahm M. K. in besonderem Maße die logistische Vorbereitung und beschaffte – mit angesparten Mitteln der Brüder – notwendige Ausstattungsgegenstände und Saatgut. Über den Fortschritt des Ausbaus ließen sie ihren Vater zunächst im Unklaren. Dieser verließ sich darauf, dass seine Söhne einen Partyraum einrichteten, und hatte selbst keinen Zugang zu den von ihnen genutzten jeweils abgetrennten Innenräumen mehr, weil seine Söhne ohne sein Wissen die Türen mit Zylinderschlössern versehen und die zugehörigen Schlüssel für sich behalten hatten.
Im Januar 2020 begannen die Brüder arbeitsteilig mit der Aufzucht und Pflege von Marihuana-Pflanzen. Zeitgleich offenbarten sie ihrem Vater, dass sie „Pflanzen“ in den Schuppen eingebracht hätten, so dass sich eine Nutzung als Partyraum erledigt habe. A. K. hielt es aufgrund dieser Mitteilung für naheliegend, dass es sich bei den Pflanzen um Marihuana handeln könnte. Gleichwohl ließ er seine Söhne zunächst gewähren und „schaute fortan billigend bewusst weg“. Im Juli 2020 stand die erste Ernte an. Die Brüder zeigten ihre Aufzucht nun erstmals ihrem Vater, der bei der Ernte half und damit rechnete, dass beide aus dem Handel mit dem Marihuana Gewinn erzielen würden. Er gestattete ihnen weiterhin, über die Hausleitungen Wasser und Strom für die Plantage zu nutzen, und erlaubte ferner, dass Erntegut in den auch ihm zugänglichen Kellerräumen seines Wohnhauses zerkleinert, verpackt und gekühlt gelagert wurde. Er wusste und nahm billigend in Kauf, dass finanzielle Unterstützungen an seine Söhne direkt oder mittelbar in den Betrieb der Plantage fließen würden.
Die Brüder begannen etwa Ende August mit der Aussaat für die „zweite Ernte“. Hierbei richtete M. K. seine Bemühungen darauf, einen höheren THC-Gehalt zu erzielen als bei der ersten Ernte, die lediglich „befriedigend“ ausgefallen war. Zu einer erneuten Ernte kam es wegen des Eingreifens der Ermittlungsbehörden indes nicht. Es konnten „insgesamt 19.182,91 (netto) Gramm Marihuana, 20,75 (netto) Gramm Cannabis-Lösung, 93,43 Gramm (netto) Haschischpaste und 0,92 Gramm (netto) Kokain sichergestellt“ werden. Hierbei handelte es sich um „die vollständige Ausbeute der ersten und zweiten Ernte“ sowie um Setzlinge, die für die weiter beabsichtigte dritte Ernte „bereits gezogen“ worden waren. Die Wirkstoffmengen der sichergestellten Betäubungsmittel betrugen insgesamt 1.418,38 g THC und 0,81 g Kokainhydrochlorid.
Urteilsgründe
Die Rechtsmittel haben Erfolg. Bereits die Schuldsprüche halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- Die Feststellungen der Strafkammer rechtfertigen nicht die Zusammenfassung der einzelnen Handlungen der Angeklagten J. und M. K. zu einer einheitlichen Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
- Erfolgt die Aufzucht von Marihuanapflanzen zum Zwecke des späteren gewinnbringenden Absatzes der geernteten Pflanzen, geht der Anbau als unselbständiger Teilakt in der Bewertungseinheit des Handeltreibens auf. Gesonderte Anbauvorgänge sind dann grundsätzlich als für sich selbständige, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten des Handeltreibens zu bewerten. Es kommt nicht darauf an, ob die Pflanzen sukzessive oder gleichzeitig angebaut werden. Maßgeblich ist allein der jeweilige Verkaufsvorgang. Dieser stellt die Zäsur des Anbaus dar. Mit ihm konkretisiert sich die Tat des Handeltreibens und trennt die zur Erzeugung des verkauften Betäubungsmittels notwendigen Anbauvorgänge von denen, die der Herstellung der nächsten Lieferung und damit der nächsten Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dienen. Nichts anderes gilt, wenn Betäubungsmittel aus einer Plantage mit Pflanzen unterschiedlicher Reifungsgrade, die sukzessiv nach ihrer Reife geerntet werden, verkauft werden oder die Aufzucht der Pflanzen aus dem nachfolgenden Anbauvorgang noch vor der Ernte der zuvor gezüchteten Pflanzen begonnen wurde. Denn daraus folgt nur eine Gleichzeitigkeit der Anbauvorgänge im Sinne einer zeitlichen Überschneidung, die für eine tateinheitliche Verbindung als solche nicht ausreicht.
- Gemessen daran tragen die Urteilsfeststellungen die vom Landgericht vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung nicht.
- aa) Die Strafkammer selbst geht von mehreren, sukzessiv durchgeführten oder – betreffend die dritte Ernte – beabsichtigten Anpflanzungen aus, sodass sich schon im rechtlichen Ausgangspunkt die Annahme verschiedener materiellrechtlicher Taten aufdrängt. Da das bei jedem Erntevorgang gewonnene Marihuana jeweils eine eigene Handelsmenge darstellte, scheidet eine Bewertungseinheit schon deshalb aus, weil die den Vertrieb fördernden Tätigkeiten hinsichtlich der Einzelmengen jeweils nicht denselben Güterumsatz betrafen.
- bb) Hieran ändert es nichts, dass im Zeitpunkt der zweiten Aussaat und Pflanzenpflege die Erträge aus der ersten Ernte möglicherweise noch (vollständig) im Besitz der beiden Angeklagten war. Denn der bloße gleichzeitige Besitz der bereits abgeernteten, zum Verkauf bei Erreichen einer entsprechenden Menge bereitliegenden Blüten einerseits und der noch auf dem Halm befindlichen Blüten hat nicht die Kraft, die getrennten Handelstätigkeiten zur Tateinheit zu verbinden.
- cc) Die Urteilsgründe belegen auch nicht, dass sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen überschnitten und die festgestellten Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln deshalb zueinander in Tateinheit stehen.
- Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, vermag der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit in diesem Sinne zu begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die tatsächliche Verfügungsgewalt über die andere darstellt.
- Nach den Feststellungen besaßen die Angeklagten J. und M. K. die zum Handel bestimmten Erträge der ersten Ernte und der heranwachsenden zweiten Aufzucht zwar gleichzeitig. Beide verfügten hierüber auch auf dem Grundstück ihres Vaters. Die Feststellungen belegen aber nicht den erforderlichen unmittelbaren räumlichen Zusammenhang. Während der Ertrag der ersten Aufzucht naheliegend in den – nicht näher bestimmten – „Kellerräumen“ des Wohnhauses verwahrt wurde, dürfte sich das „nahezu erntereife Pflanzenmaterial für die ‚zweite Ernte‘“ noch im ausgebauten Nachbargebäude befunden haben.
- Schließlich ist auch eine gemeinsame Beschaffung von Setzlingen für alle Anbauvorgänge, die auf nur eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB schließen lassen könnte, nicht festgestellt. Vielmehr waren allein bei der „beabsichtigten“ dritten Aufzucht Setzlinge vorgesehen; im Übrigen wurde durch die beiden Angeklagten Saatgut verwendet.
- Die Urteilsfeststellungen tragen – was der Senat entsprechend § 301 StPO zu berücksichtigen hat – die Annahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hinsichtlich der von den Angeklagten „beabsichtigten dritten Ernte“ nicht.
- Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit. Hiervon sind solche Handlungen abzugrenzen, die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen. Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen.
Die Aufzucht von Cannabispflanzen erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt. Allein der Erwerb von Setzlingen zum Zweck des anschließenden Anbaus stellt dabei aber noch keine auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit dar. In derartigen Fällen entfaltet vielmehr der (verdrängte) Straftatbestand des Anbaus von Betäubungsmitteln insoweit eine Begrenzungsfunktion für den Tatbestand des Handeltreibens, als er den Versuch erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Aussaat oder zum Anpflanzen beginnen lässt.
Eine Vollendung des Handeltreibens tritt regelmäßig erst mit dem Anbau in Verkaufs- und Gewinnerzielungsabsicht, also mit Anpflanzung der Setzlinge in die Plantage ein.
- Gemessen hieran belegen die Feststellungen die vom Landgericht angenommene Vollendung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hinsichtlich der dritten Ernte nicht. Die Setzlinge konnten zwar „im F. B. R. “ und damit auf demselben Grundstück, auf dem sich die Plantage befand, sichergestellt werden. Eine Anpflanzung – und damit die überschrittene Schwelle zum Versuch – ist aber ebenso wenig festgestellt, wie ihr genauer Fundort.
- Der Senat kann ein Beruhen des Urteils auf diesen Rechtsfehlern – auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) – nicht ausschließen (§ 337 StPO). Die deshalb gebotene Aufhebung erfasst zudem die tateinheitliche Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
- Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen auch der Verurteilung des Angeklagten A. K. als Gehilfen zur Haupttat den Boden. Deshalb kann der Senat es offenlassen, ob die eine Täterschaft verneinende Beweiswürdigung revisionsgerichtlicher Überprüfung standhalten würde.
- Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellung zu ermöglichen, hebt der Senat die bisherigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO) und bemerkt lediglich ergänzend:
- Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird differenziert nach den beiden Aufzuchten die jeweiligen Betäubungsmittelmengen und ihre Wirkstoffgehalte zu bestimmen, hierbei – jedenfalls für die erste Ernte – auf die insoweit sichergestellten Betäubungsmittel zurückzugreifen und – betreffend die zweite Aufzucht – nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung die Menge, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden sollte, unter Heranziehung der Referenzwerte aus der ersten Ernte nachvollziehbar, gegebenenfalls im Wege der Schätzung, festzustellen haben.
- Hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses der zum Handel und zum Eigenkonsum der Angeklagten J. und M. K. vorgesehenen Betäubungsmittel nimmt der Senat Bezug auf die in der Antragsschrift des Generalsbundesanwalts ausgeführten Erwägungen.
- Sollte das neue Tatgericht betreffend die „beabsichtigte“ dritte Aufzucht keine Feststellungen für eine Verurteilung wegen Handeltreibens treffen können, werden insoweit insbesondere ein versuchtes Handeltreiben oder eine Verbrechensverabredung der Angeklagten (§ 30 Abs. 2 StGB) in den Blick zu nehmen sein.
- Im nächsten Rechtsgang wird hinsichtlich des Angeklagten A. K. jedenfalls die Frage eines täterschaftlichen (Fremd-)Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände, wie etwa Lagerhaltung und Verfügbarkeit, zu erwägen sein.
- Die Ausführungen zur Strafbemessung geben darüber hinaus Anlass für den Hinweis, dass ein Härteausgleich für die unterbliebene Einbeziehung einer bereits bezahlten Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe nicht zulässig ist und der lediglich pauschale Hinweis auf „Kontakt- und Besuchsbeschränkungen“, die zur Abwehr der gerade zu Beginn der Pandemie bestehenden Ansteckungsgefahren mit dem Covid-19-Virus durch die Justizvollzugsanstalt verhängt wurden, eine auch im Übrigen regelmäßig nicht veranlasste strafmildernde Berücksichtigung vollstreckter Untersuchungshaft ohne Mitteilung konkreter Tatsachen für hierdurch im Einzelfall bedingte besondere Belastungen nicht trägt.