Trunkenheit im Verkehr etc.? BGH, Beschluss vom 2.8.2022, Az.: 4 StR 231/22
Das Landgericht hat den Angeklagten ‒ unter Freispruch im Übrigen ‒ der „Urkundenfälschung tateinheitlich begangen mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung tateinheitlich begangen mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie fahrlässiger Körperverletzung und des Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen“ schuldig gesprochen und ihn zu einer „Freiheitsstrafe“ von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Aufgrund der Revision des Angeklagten wurde die Entscheidung in Teilen aufgehoben
Sachverhalt
Der Angeklagte führte unter dem Einfluss von Cannabis und Amphetamin im Februar 2021 seinen Pkw im öffentlichen Verkehrsraum. Um sich wegen seiner fehlenden Fahrerlaubnis einer Polizeikontrolle zu entziehen, beschleunigte er das Fahrzeug in der G-er Innenstadt auf bis zu 100 km/h und überholte andere Verkehrsteilnehmer. Durch deren Brems- und Ausweichmanöver konnten Zusammenstöße verhindert werden. Der Angeklagte fuhr sodann auf die Autobahn auf und dort „Schlangenlinien“, so dass die verfolgenden Polizeibeamten aufschließen konnten. Nach dem Verlassen der Autobahn beachtete der Angeklagte eine rote Lichtzeichenanlage nicht. Er verlor schließlich beim Abbiegen am nächsten Ortseingang die Kontrolle über sein Fahrzeug, das in einem Graben zum Stehen kam. Im März desselben Jahres flüchtete er unter den gleichen Umständen erneut vor der Polizei. Hier erweckte er zunächst den Anschein anhalten zu wollen, nachdem die Polizei ihm ein entsprechendes Signal gab, als der Streifenwagen anhielt, beschleunigte er jedoch sein Fahrzeug. In einem Feldweg fuhr er sich dann fest. Er setzte sodann seinen Pkw an dem stehenden Einsatzfahrzeug vorbei im Vertrauen darauf zurück, dieses nicht zu beschädigen. Es kam jedoch zu einer Kollision mit der geöffneten Beifahrertür des Streifenwagens. Der Angeklagte fuhr nach einer kurzen Fahrtstrecke eine Böschung hinunter, wo sich sein Fahrzeug im Bewuchs festsetzte.
Dem Angeklagten an den Tattagen entnommene Blutproben wiesen jeweils 320 Mikrogramm Amphetamin sowie zusätzlich bei der ersten Fahrt 3,4 Mikrogramm THC und bei der zweiten Fahrt 17 Mikrogramm THC pro Liter Blut auf.
Das LG verurteilte ihn u. a. wegen Trunkenheit im Verkehr, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer „Freiheitsstrafe“ von einem Jahr und zehn Monaten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt.
Urteilsgründe
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat überwiegend Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe jeweils auch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB kann nicht bestehen bleiben. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte (relativ) fahruntüchtig war.
- Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.
- b) Das Landgericht scheint in dem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen erblickt zu haben. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre aber erforderlich gewesen, denn es versteht sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen ist. Dabei hätte insbesondere in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des Angeklagten in beiden Fällen darauf ausgerichtet war, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte. Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der Angeklagte sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, ist für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei der ersten Tat zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen hat.
Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte versteht sich ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) Angeklagten für seine jeweilige Fahrun- tüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist. Dem steht aber entgegen, dass die Strafkammer bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten jeweils nicht von einer „manifesten Intoxikation“ ausgegangen ist.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen kann daher keinen Bestand haben. Die Aufhebung erfasst auch die tateinheitlich erfolgte – an sich rechtsfehlerfreie – Verurteilung wegen Urkundenfälschung und weiterer Delikte. Die Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern betroffen und daher ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).
- Die Teilaufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Gesamtstrafenausspruch, der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und der Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 StGB die Grundlage.
- Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- a) Sollte das neue Tatgericht ebenfalls eine Fahruntüchtigkeit des Angeklagten bejahen, wird es für eine erneute Verurteilung gemäß § 316 Abs. 1 StGB sorgfältiger als geschehen zu prüfen haben, ob er insoweit zumindest mit bedingtem Vorsatz handelte.
- b) Zudem wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, die Tagessatzhöhe für die von der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils unberührten Einzelgeldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu bestimmen. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe, der das Verschlechterungsverbot nicht entgegen steht, ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Geldstrafen in einer Gesamtfreiheitsstrafe aufgehen.