Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln? BGH, Beschluss vom 03.05.2022, Az.: 1 StR 75/22
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg.
Das Urteil
- Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 7. Dezember 2021, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Sachverhalt
Nach den Feststellungen unterhielt die Angeklagte mit dem in diesem Verfahren rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten H. seit 2018 eine Liebesbeziehung. Nachdem die Angeklagte und der Mitangeklagte am 13. Juni 2021 in eine gemeinsame Wohnung gezogen waren, verbrachte der Mitangeklagte die von ihm zuvor in einem Fahrzeug gelagerten Betäubungsmittel in die nunmehr freigewordene Wohnung der Angeklagten.
Die Angeklagte wusste, dass der Mitangeklagte größere Mengen Marihuana und Kokain in dieser Wohnung zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig hielt. Sie billigte diese Nutzung am 24. Juni 2021 für weitere vier Wochen, obwohl ihr an einer baldigen Mitteilung des Umzugs an den Sozialleistungsträger gelegen war. Bereits einen Tag zuvor hatte die Angeklagte dem Mitangeklagten auf dessen Geheiß aus diesem Vorrat mindestens ein Gramm Kokain mitgebracht.
Am 28. Juni 2021 verwahrte der Mitangeklagte in dem Wohnzimmer der zuvor genannten Wohnung der Angeklagten 9,781 Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 1.111 Gramm THC und Kokain, das 245,872 Gramm Kokainhydrochlorid enthielt, zum gewinnbringenden Weiterverkauf.
Urteilsgründe
Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes an den vom Mitangeklagten in der Wohnung der Angeklagten gelagerten Betäubungsmitteln hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten. Besitzer im betäubungsrechtlichen Sinne ist dabei nicht nur ein Eigenbesitzer. Auch ein Fremdbesitzer, der die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen ausübt und keine eigene Verfügungsgewalt in Anspruch nehmen will, besitzt die Betäubungsmittel. Das gilt insbesondere für den Verwahrer.
- Ausgehend von diesen Maßstäben tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht die Wertung, die Angeklagte habe Besitz an den vom Mitangeklagten in ihrer Wohnung gelagerten Betäubungsmitteln gehabt. Aus ihnen ergibt sich insbesondere nicht, dass die Angeklagte mit Besitzwillen das Lagern der Betäubungsmittel in ihrer Wohnung geduldet hat. Allein der Umstand, dass die Angeklagte die Betäubungsmittel dort wahrgenommen hat und sie mit einer weiteren Nutzung der Wohnung durch den Mitangeklagten als Betäubungsmitteldepot einverstanden war, reicht für die Wertung, sie sei Besitzerin der Betäubungsmittel gewesen, nicht aus. Gegen einen Besitzwillen spricht insbesondere, dass die Angeklagte nicht befugt war, über die Betäubungsmittel zu verfügen, und dies auch nicht getan hat. Die Feststellungen belegen mithin nur den Besitz der Angeklagten an dem von ihr transportierten Kokain, dessen Wirkstoffgehalt den Grenzwert zur nicht geringen Menge nicht erreicht hat.
- Angesichts der nicht belegten Annahme, die Angeklagte habe für den Mitangeklagten die Verfügungsmacht über die in ihrer Wohnung gelagerten Betäubungsmittel ausgeübt, kann die Verurteilung insgesamt keinen Bestand haben.
- Die Aufhebung erfasst auch die tateinheitliche Verurteilung wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellung zu ermöglichen, hebt der Senat alle bisherigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).
- In der neuen Hauptverhandlung wird das Tatgericht auch Gelegenheit haben, genauere Feststellungen zur Beihilfe der Angeklagten zu treffen und die Unterstützungshandlungen – soweit erforderlich – zu gewichten. Der Konkretisierung bedarf insbesondere, in welcher Art und Weise – etwa durch die Überlassung eines Wohnungsschlüssels – die Angeklagte das Handeltreiben des Mitangeklagten mit Betäubungsmitteln unterstützt hat.